In Deutschland hat die Ankündigung des Gesundheitsministers Karl Lauterbach, die Homöopathie aus den Kassenleistungen zu streichen, eine Debatte um diese komplementärmedizinische Methode entfacht. Lauterbach argumentiert, es gebe keinen wissenschaftlichen Nachweis für die Wirksamkeit der Homöopathie. Die Wissenschaft verfügt aber über Wirksamkeitsbelege: Prof. Dr. sc. nat. Stephan Baumgartner, der an der deutschen Universität Witten/Herdecke und der Universität Bern forscht, hat Ergebnisse aus 25 Jahren Forschungsarbeit zusammengetragen.
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Interview: Lukas Fuhrer (erschienen am 30.01.2024 auf https://www.millefolia.ch/forschung-zeigt-homoeopathie-wirkt/)
Stephan Baumgartner, die Homöopathie sieht sich auch in der Schweiz oft mit dem Vorurteil konfrontiert, sie sei eine reine Placebobehandlung, da ihre Arzneimittel so stark verdünnt sind, dass faktisch gar keine Ausgangssubstanz mehr enthalten ist. Ihre Forschung zeigt aber ein anderes Bild.
Stephan Baumgartner: Ja, in der Tat. Unsere Arbeitsgruppe beschäftigt sich im Bereich der Grundlagenforschung seit 25 Jahren intensiv mit genau dieser Frage: Handelt es sich bei homöopathisch potenzierten Präparaten um Scheinmedikamente, also Placebos, oder um Arzneimittel, also Präparate mit spezifischer Wirksamkeit über Placebo hinaus.
Unsere Forschungsresultate weisen eindeutig darauf hin, dass es sich bei homöopathischen Präparaten nicht um Placebos handelt.
Das Fazit ist aus meiner Sicht klar: Unsere Forschungsresultate weisen eindeutig darauf hin, dass es sich bei homöopathischen Präparaten nicht um Placebos handelt.
Wie lässt sich das im Labor ermitteln? Können Sie exemplarisch einen Versuch schildern, der zeigt, dass Homöopathie über den viel zitierten Placeboeffekt hinaus wirkt?
In den vergangenen 25 Jahren haben wir mit 20 verschiedenen Labormodellen gearbeitet. Ich führe eines dieser Modelle aus: Bestimmte Pflanzen, etwa Wasserlinsen, werden mit Arsen vorgeschädigt, um sie quasi krankzumachen. Danach behandeln wir sie mit potenziertem Arsen und untersuchen, ob sie darauf reagieren, im Vergleich zu potenziertem Wasser. In diesem Labormodell haben wir in 15 unabhängigen Experimenten wiederholt Wirkungen potenzierten Arsens im Vergleich zu potenziertem Wasser festgestellt. Nun haben wir mit 20 solchen Modellen gearbeitet, mit jeweils anderen Pflanzen oder anderen Vorschädigungen. In 15 der 20 Modelle haben wir statistisch signifikante Effekte von homöopathischen Potenzen gegenüber Placebo festgestellt, in wiederholten, randomisierten und verblindeten Experimenten.
Die Pflanzen haben sich also durch die homöopathische Behandlung besser erholt – gibt es denn solche klaren, wissenschaftlichen Belege auch für die Behandlung am Menschen?
Ja, die gibt es. Es gibt klinische Studien, darunter auch sogenannte placebokontrollierte Studien, wo ein homöopathisches Arzneimittel verblindet mit Placebo verglichen wurde, und wo eindeutig eine Wirksamkeit über Placebo nachgewiesen wurde. Am Institut für Komplementäre und Integrative Medizin der Universität Bern wurden auch verschiedene Studien zur Homöopathie durchgeführt, beispielsweise eine zum Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom ADHS/ADHD. Wenn die Studien wissenschaftlich gut gemacht sind, sind die Effekte deutlich. Der entscheidende Punkt ist dabei, das richtige Mittel zu finden, nach dem Simile-Prinzip.
Die Homöopathie wird seit rund 200 Jahren angewandt, und Sie sprechen es an: Die Erfahrungen der Praktizierenden und der Patientinnen und Patienten zeigen, dass die potenzierten Arzneimittel wirken. Kann die Forschung auch das gesammelte Erfahrungswissen nutzen?
Ja, das ist möglich. In sogenannten Beobachtungsstudien kann man beispielsweise Rückenschmerzpatienten, die homöopathisch behandelt werden, vergleichen mit solchen, die konventionell behandelt werden. Mittels Fragebogen ermittelt man den Verlauf der Beschwerden über mehrere Monate. In allen Studien, die mir bekannt sind, ist die subjektive Besserung der Befindlichkeit der homöopathisch Behandelten gleich gut oder besser, aber nie schlechter als bei den konventionell Behandelten. Und dies bei weniger Nebenwirkungen und gleichen oder reduzierten Kosten sowie einer Reduktion des konventionellen Arzneimitteleinsatzes.
Aus meiner Sicht leistet die Homöopathie einen äusserst relevanten Beitrag zur Reduktion von Antibiotikaresistenzen und zur Volksgesundheit.
Beispiel: Bei der Behandlung der oberen Atemwege, also Schnupfen, Halsschmerzen etc., haben wir einen gleichen oder besseren klinischen Erfolg in der homöopathisch behandelten Gruppe bei gleichzeitig halbiertem Antibiotika-Verbrauch. Aus meiner Sicht leistet die Homöopathie somit einen äusserst relevanten Beitrag zur Reduktion von Antibiotikaresistenzen und zur Volksgesundheit. Dieser Effekt wurde auch in Studien nachgewiesen.
Zahlreiche Ärztinnen und Ärzte wenden Homöopathie in ihren Praxen integrativ an, das heisst, zusätzlich zur herkömmlichen Medizin. Welches sind aus Ihrer Sicht die Vorteile einer integrativen Medizin?
Integrative Medizin ist das sinnvolle Zusammenarbeiten von konventioneller und komplementärer Medizin. Die Vorteile sind, dass die Stärken der beiden Ansätze sinnvoll kombiniert werden können. Ein durch eine Studie belegtes Beispiel ist die Behandlung von Beschwerden wie rheumatoider Arthritis, wo durch eine kombinierte homöopathische und konventionelle Behandlung der Verbrauch an konventionellen Antirheumatika um etwa die Hälfte gesenkt werden konnte. Ein anderes, ebenfalls durch eine Studie belegtes Beispiel, ist der kombinierte Einsatz von Homöopathie und konventioneller Medizin bei Krebserkrankungen, wodurch die Nebenwirkungen der konventionellen Behandlung abgemildert werden können. Je nach Indikation kann es sinnvoll sein, etwas homöopathisch zu behandeln oder konventionell – oder eben im Sinne der Integrativen Medizin ergänzend, also beides zusammen anzuwenden.
Wenn die Medien die Aussage des deutschen Gesundheitsministers übernehmen, es gebe keine wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit der Homöopathie, zeugt das davon, dass Forschungsergebnisse wie die Ihrer Arbeitsgruppe nicht leicht in die Öffentlichkeit vordringen. War das Ihre Motivation, den Stand der Forschung auf der Website des Instituts für Komplementäre und Integrative Medizin der Uni Bern darzustellen?
Wir haben diese Zusammenfassung zur Homöopathie gemacht, weil wir einen Informationsmangel feststellen. Es gibt so viele gute wissenschaftliche Publikationen, die in der öffentlichen Diskussion nicht wahrgenommen werden.
Es gibt so viele gute wissenschaftliche Publikationen, die in der öffentlichen Diskussion nicht wahrgenommen werden.
Deshalb braucht es aus unserer Sicht verlässliche, sinnvolle Information zum aktuellen Stand der Forschung auf der Website einer Universität – als Beitrag zu einem sachlichen und fachlich fundierten Diskurs.
Gibt es für Sie so etwas wie den heiligen Gral der Homöopathie – etwas, das Sie als Forscher unbedingt gerne noch entdecken oder nachweisen möchten?
Als ich vor 25 Jahren in diese Forschung eingestiegen bin, wollte ich zwei Fragen beantworten: Sind homöopathische Mittel Placebos, ja oder nein? Diese Frage ist nun beantwortet, sie sind keine Placebos. Die zweite Frage: Wenn sie keine Placebos sind, welches ist ihr Wirkprinzip? Und da hoffe ich, noch weiterzukommen mit der Arbeit. Meine Arbeitshypothese ist wie erwähnt, dass es um eine Art Information geht, die mit der potenzierten Substanz aufgenommen wird und die den Organismus regulativ unterstützt.
Die Übersicht über den aktuellen Stand der Grundlagenforschung und klinischen Forschung zur Homöopathie des Instituts für Komplementäre und Integrative Medizin der Universität Bern finden Sie hier:
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